Quickshot - Schnellschuss vom 08.03.2007 | Quickshot-Index

Khaled Hosseini: Drachenläufer

Schuld und Sühne in Afghanistan

Vor ein paar Tagen las ich Khaled Hosseinis Roman The Kite Runner (deutscher Titel Drachenläufer), ein mir aus Amerika mitgebrachtes Weihnachtsgeschenk, zu Ende. Dieses Buch war dort wohl ein großer Bestseller. Demzufolge hat sich auch die amerikanische Presse mit Adjektiven des Lobes überschlagen:

“Powerful…haunting.” (New York Times Book Review)
“Moving and unexpected.” (The Denver Post)
“Riveting…unforgettable.” (Newsday)
“Evocative…and genuine.” (Chicago Tribune)
“Extraordinary.” (People)

Wollen wir einmal feststellen, inwieweit sie ihre Berechtigung haben.

Das Buch erzählt eine Geschichte von Freundschaft, feigem Verrat und verspäteter Sühne, auf die selbst Dostojewski hätte stolz sein können. 

Diese Geschichte und die Charakterisierung ihres von Schuld geplagten Protagonisten – des Ich-Erzählers Amir – und seines Jugendfreundes und Dieners Hassan ist realistisch und gleichzeitig in schöner, nahezu poetischer Sprache sehr bewegend erzählt.

Die Darstellung Afghanistans während der letzten friedlichen Tage der Monarchie in den 1970erjahren zu Beginn des Buches, durch die Augen des jungen Amir gesehen, ist seine größte Stärke.

Als Amir und sein Vater Afghanistan wegen der russischen Besetzung des Landes 1979 in einer abenteuerlichen Flucht im Tank eines Benzinlasters verlassen, rückt Kalifornien mit seiner anschaulich geschilderten und häufig amüsanten afghanischen Diaspora in den Mittelpunkt. Amir verliebt sich auf dem afghanischen Flohmarkt und heiratet eine Landsmännin, der bewunderte Vater stirbt an Krebs.

Zum Ende des Romans – zur Sühne – kehrt Amir in den späten 90erjahren in sein Heimatland zurück. Weitere Einzelheiten der Handlung möchte ich nicht verraten. Ein Hinweis sei noch erlaubt: wie aus dem Titel zu entnehmen ist, spielen auch Drachen von der Art, die man im Herbst steigen lässt, eine wesentliche Rolle.

Dieser letzte Teil, der lediglich ein paar Wochen umfasst und bei weitem nicht so am eigenen Leibe erlebt wirkt wie Anfang und Mitte, scheint mir am schwächsten. Der Leser erfährt wenig, was über das Schreckensregime der Taliban nicht schon aus Presse, Funk und Fernsehen bekannt gewesen wäre.

Auf der Handlungsebene setzt der Autor für meinen Geschmack vor allem in der zweiten Romanhälfte allzu sehr auf merklich konstruierte Schicksalsfügungen.

Insgesamt ein Roman, der streckenweise packend und eindringlich oder sogar quälend ist, während ich mit einigen anderen der oben aufgeführten Adjektive eher zurückhaltender umgehen würde. 

Johannes Beilharz
Dieser Roman von Khaled Hosseini ist im Buchhandel und Online-Buchhandel (z.B. Amazon) erhältlich.

Feedback / E-Mail